Die Vechtaer Nachbarschaften

In der Stadt Vechta gab es sogenannte „Nachbarschaften“, fünf an der Zahl: Große Straße (große Nachbarschaft), Kirchstraße, Burgstraße, Klingenhagen und Mühlenstraße. Diese haben sehr lange eine große Rolle gespielt und wurden auch „Pfingsten“ genannt.

Die Nachbarschaften waren keine losen Vereinigungen. Sie waren aufgebaut auf genossenschaftlicher Grundlage und hatten den Charakter einer juristischen Person. Sie konnten ihren Nachbarn Pflichten auferlegen, Umlagen erheben, Beiträge einziehen und ihre Mitglieder zwingen, ihre Pflichten zu erfüllen. Die Bürger hatten sich zu gegenseitiger Hilfe in Not und Tod, in Freud und Leid zusammengeschlossen. Alljährlich am Sonntag vor Pfingsten traf sich jede Nachbarschaft – oft bei Bier und Wein – zur Rechnungsablage und Beratung in der Wohnung eines Mitglieds. Den Schluss bildete der Tanz unter dem Pfingstkranz. Über die Mitglieder, deren Beiträge und Ausgaben sowie über die Aktivitäten wurde ein sogenanntes „Pfingstbuch“ geführt. Die Rechnungsablage wurde vom Magistrat der Stadt überprüft.

Es liegt nur noch das Klingenhagener Protokollbuch vor, ehedem im Besitz des Herrn Eduard Fortmann, jetzt im Bestand der Heimatbibliothek des Heimatbundes für das Oldenburger Münsterland. Es beginnt mit dem Jahr 1736 und schließt mit dem Jahr 1877. Der Protokollführer wurde meistens für längere Zeit gewählt. Zur Sprache kamen: Pflichten der Leichenträger, Kuhlengräber, Brandgerätschaften, Festbögen zum Fronleichnamsfest, Ausschmückung der Straßen, städtische Angelegenheiten, wie Wegebau, Schulangelegenheiten etc. Bis zur Mitte des 18. Jh. scheint in den Versammlungen die Pflege der Geselligkeit im Vordergrund gestanden zu haben. In den „Heimatblättern“ der „Oldenburgischen Volkszeitung“ wird berichtet, dass es zwischen den Jahren 1729 und 1744 zu einer Auseinandersetzung der Nachbarschaften, und zwar besonders der Nachbarschaft Klingenhagen unter dem Ratsherrn Thier, mit dem Amtsdrost der münsterschen Regierung über die Verwendung der Mitgliedsbeiträge der Nachbarschaften gekommen ist. Es wurde den Nachbarschaften vorgeworfen, die Gelder zu versaufen und sie nicht – wie festgelegt – für die Anschaffung von notwendigem Brandbekämpfungsgerät zu verwenden. Anlass war der Stadtbrand von 1729, bei dem 14 Bürgerhäuser, ein großer Pferdestall und eine Schmiede abbrannten. Die Brandgerätschaften sollen entweder nicht vorhanden oder in schlechtem Zustand gewesen sein.

In einem Prozess, der in Münster stattfand, wurde daraufhin zwar festgelegt, dass die Nachbarschaften ihre Selbständigkeit behielten, aber ihre Gelder nicht mehr für Getränke verwenden durften.

1927 heißt es dann: „In neuester Zeit haben die Vechtaer Nachbarschaften ihre frühere Bedeutung als mit Kooperationsrechten ausgestattete Genossenschaften verloren. Einige Aufgaben haben andere Körperschaften, wie die Stadtgemeinde und Kirchengemeinde, übernommen. Aber der Nachbarschaftsgedanke lebt in der Bürgerschaft weiter fort und betätigt sich auch bei gewissen Gelegenheiten, er wurde besonders wieder lebendig in der Kriegs- und Inflationszeit.“