Klingenhagen

Der Klingenhagen hatte früher keine direkte Zuwegung zum Bremer Tor hin, es standen hier vor der Straße einige kleine Gebäude, die den Ausgang versperrten. Um zum Bremer Tor zu gelangen, musste man den Weg durch die kurze Verbindungsstraße zwischen der Post und Holtvogt, die ehedem wahrscheinlich etwas breiter gewesen ist, zur Großen Straße nehmen.

Der Name Klingenhagen setzt sich aus den zwei Teilen, „Klingen-“ und „-hagen“, zusammen. Entgegen der häufig genannten Vermutung liegt kein Hofname vor. In den Quellen ließ sich kein entsprechender Hinweis bzw. Personenname finden.

Nach Jürgen Udolph, dem führenden Ortsnamensforscher Deutschlands, bezeichnet der Namensteil „Klinge“ etymologisch im Mittelniederdeutschen eine seichte Stelle im Fluss, wo das Wasser über Kiesel rasch dahinfließt und dabei Töne/Klänge erzeugt. Es klingt.

Gerd Dethlefs vom Kulturhistorisches Museum Münster hat recherchiert, dass der Name in Burgsiedlungen häufiger als Bezeichnung für Wohnstraßen vor der Hauptbefestigung gewählt worden ist, z. B. in Cloppenburg, Sassenberg und Rietberg. Nach ihm steht der Name für ein längliches, höher und trocken gelegenes Siedlungsgebiet („Klinge“). In Vechta liegt der Klingenhagen wie eine gebogene Klinge vor der ehemaligen Stadtbefestigung.

Bei den Ortsangaben, die uns in den Quellen und den Karten überliefert sind, heißt es bis in das 17. Jahrhundert in der Regel auf dem Klingenhagen. Sie beziehen sich also nicht auf einen Straßennamen, sondern auf eine Fläche.

Der Namensteil „-hagen“ gibt einen Hinweis auf das mögliche Alter dieses Stadtteils. Das Wort „hac, hage“ bezeichnet im Alt- und Mittelhochdeutschen eine Umzäunung, Einhegung, einen umfriedeten Ort, also einen von Menschen gestalteten oder zumindest kontrollierten Natur- und Siedlungsraum. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts im Rahmen territorialen Siedlungsausbaues taucht der Begriff „Hagen“ für Rodungsflächen auf, die von Grundherren/Adligen an Neusiedler vergeben werden. Als ältestes Zeugnis hierfür gilt der sogenannte Eschershauser Vertrag, den der Bischof Udo von Hildesheim (reg. 1079–1114) mit Kolonisten abschloss. Grundsätzlich könnte damit der Name Klingenhagen schon aus der Gründungszeit der Burg Vechta durch Benno II. von Osnabrück (reg. 1068–1088) stammen.
 
Rechtliche Grundlagen der Besiedlung
Der Auftrag zur Besiedlung eines zu erschließenden Landes erfolgte zumeist durch einen adligen oder geistlichen Landesherren bzw. durch einen Grundherrn = „Lokator“, der hierfür vorher die landesherrliche Genehmigung einzuholen hatte. Allerdings wurden auch Dörfer ohne vorherige Erlaubnis an Lokatoren zur Urbarmachung ausgesetzt, oder Siedler handelten auf eigene Faust. Bezüglich der Aufgaben bei der Urbarmachung und Stellung in der neuen Siedlung ist es von Bedeutung, zwischen Stadtlokatoren und Dorflokatoren zu differenzieren.

Lokatoren gehörten hauptsächlich dem niederen Adel oder der Schicht der Stadtbürger an. Sie waren Ritter oder Vasallen der Landesherren. Oft waren es auch Personen, die angesehenen Berufen nachgingen, wie Münzmeister oder königliche Dienstmänner. Zudem verfügten sie meist über hinreichend Erfahrung bzw. eine für die damalige Zeit gute Ausbildung.

Die Besiedlung solcher „Hagen“ – in Vechta gibt es mit der südlich gelegenen Bauerschaft zwei Nennungen – könnte also von sogenannten Lokatoren betrieben worden sein.

Möglicherweise lagen in diesem Bereich (nördlich der Kapelle Unser Lieben Frauen in der Neustadt) zwei Burgmannshöfe, die der Familien Düker und Wackenhem, gen. Scalver. Aus beiden Familien stammen schon Anfang des 13. Jahrhunderts Burgmänner, also Lehnsleute der Burg Vechta. Diese könnten als „Lokatoren“ aufgetreten sein.

Die rechtliche Grundlage für die Entstehung einer neuen Siedlung bildete der Lokationsvertrag (lat. „locatio“ = Pachtvertrag). Dieser wurde entweder direkt zwischen dem Landesherrn und dem beauftragten Lokator geschlossen oder zwischen dem Grundherrn und dem Lokator. Im Lokationsvertrag wurden die vorher mit dem Landesherrn abgesprochenen Lokationsprivilegien sowie die Zehntregelungen u. Ä. festgehalten. Vertraglich wurden somit der Rechts- und Organisationswechsel (bei den deutschen Ostsiedlungen der Wechsel vom polnischen zum deutschen Recht), Vergünstigungen für Lokator und Siedler sowie Pflichten und steuerliche Abgaben geregelt. Hierzu gehörte auch die Vorgabe, die Felder gegen Überschwemmungen oder andere Natureinflüsse zu sichern oder die Siedlung z. B. durch das Ausheben eines Grabens gegen Feinde zu schützen. Der Lokationsvertrag hatte für Siedler und Lokator somit eine verpflichtende Wirkung gegenüber dem Grundherrn, bildete aber auch eine gesetzliche Grundlage, die rechtliche Sicherheit für die Siedlung und ihrer Bewohner bedeutete. Oftmals beinhaltete die „locatio“ auch Strafklauseln, die im Falle einer gescheiterten Besiedlung den Entzug der Privilegien und eine Geldstrafe für den Lokator nach sich zogen.
 
Gründung eines neuen Stadtteils
1372 erteilt der münstersche Fürstbischof Florenz von Wevelinghofen (reg.1364–1379) als Territorialherr, als „Stadtlokator“, den „radtmannen und gemeine borger van der Vechte“ neue Privilegien. Er erlaubte diesen, Dienstleute (Ministerialen), Freie und Freigekaufte zu seinem Behuf und zu Behuf des Schlosses Vechta als Bürger aufzunehmen, und zwar zu seinem Recht, also nicht zu städtischem Recht. Landesherrliche Rechte durften dadurch nicht beeinträchtigt werden. Alle auf dem Schloss wohnenden Personen, die auf Bürgergrund sitzen, sollten Bürger werden und die bürgerlichen Pflichten übernehmen. Damit sollte die bürgerliche Siedlung gegenüber den Burgmannen gestärkt werden.

Wenig später, bei gestärktem städtischen Selbstbewusstsein, wird Vechta am 12. Juni 1388 in einer Urkunde als Stadt bezeichnet, mit sechs Bürgermeistern, jeweils zwei aus den drei jetzt existierenden Stadtteilen Altstadt, Neustadt und Klingenhagen.
 
„vetus civitas“ „nova civitas“ und „locus dictus Clingenhagen“
Die „vetus civitas“ = Altstadt umfasste den Teil der heutigen Stadt, der sich von der Einmündung der Kleinen Kirchstraße in die Große Kirchstraße bis zu der Straße erstreckt, die von der Großen Straße zur Mühlenstraße führt; die „nova civitas“ umfasste den Teil, der nördlich der Querstraße liegt, die die Große Straße mit der Mühlenstraße verbindet. Der „Clingenhagen“ lag dort, wo man jetzt die Straße Klingenhagen sieht.

1377 wird der Name „Clingenhaghene“ erstmals erwähnt: Verpfändung des „hus uppe deme Clingenhaghene uppe den walle achter Danghen hus“.
1387 macht ein „Coep de Scroder uppe deme Clingengen tor Vechte by wohnacht“ eine Schenkung für sein Seelenheil. Der Klingenhagen lag immer noch vor der eigentlichen Stadt Vechta.

Die höhere Lage des Klingenhagens dürfte die Ursache gewesen sein, weshalb die Siedlung nicht in das System der nassen Gräben einbezogen wurde, die die Stadt sicherte. So war der Klingenhagen zunächst nur mit einem Wall befestigt, der erstmals 1377 bezeugt ist. Erst kurz vor 1577 wurde der Klingenhagen mit Gräben in die Stadtbefestigung einbezogen.

Versucht man, die drei damaligen Stadtteile Vechtas voneinander abzugrenzen, ist zunächst festzustellen, dass alle drei in etwa gleich groß waren. Eine Urkunde von 1422 (über die Einkünfte des Kaplans an der Liebfrauenkapelle am Steintor in der Neustadt) nennt sechs Häuser der Altstadt, elf der Neustadt (ohne Marienkapelle) und zehn auf dem Klingenhagen (ohne Antoniuskapelle).
 
Die Stadtbefestigung
Der Stadtteil Klingenhagen besaß zwei Stadttore, die alte Klingenhagener Pforte (im Süden zur Neustadt hin) und die neue Klingenhagener Pforte.
Etwas verwirrend ist, dass das Stadttor der Neustadt, die Steinpforte (erstmals 1372 urkundlich erwähnt) in den Schriftquellen als ein Teil der alten Klingenhagener Pforte gesehen wird. Lagebezeichnungen von 1481 und 1491 für das 1388 erstmals bezeugte Armenhaus mit der Kapelle, die dem hl. Antonius geweiht war, besagen jedoch, dass diese außerhalb der Stadt, und zwar „auf dem Klingenhagen“ und „vor der Klingenhagener Pforte“ lagen. Damit war die „Klingenhagener Pforte“ das Stadttor, das zum Klingenhagen hinausführte. Das Stadttor besaß also zwei „steinerne Pforten“ – auf beiden Seiten des Stadtgrabens. Sie sollten zwar um 1549 abgebrochen werden, doch wurde noch 1620/22 das Stadttor als „Steinpfortte“ bezeichnet, so dass die frühere „Steinpforte“ – wenn auch vielleicht verändert – fortbestand.

Einer Urkunde von 1508, die den Tausch eines Windmühlengrundstückes vor der Klingenhagener Pforte (der neuen, nördlicheren) regelte, ist zu entnehmen, dass damals auch das Außentor des Klingenhagens diese Bezeichnung trug. Sie erscheint in den Akten über den Umbau der Stadtbefestigung als die „kleine Pforte“.

1540 forderten die Bürger, dass auch der Klingenhagen in die Stadtbefestigung einbezogen werden sollte. Der Oldenburger Überfall von 1538 hatte zu einem Umdenken in der Stadt geführt. Doch Fürstbischof Franz von Waldeck lehnte ab. Er wollte die Stadt verkleinern, um sie besser verteidigen zu können. Der Klingenhagen wurde von der Befestigung ausgeschlossen. Als Hauptverteidigungslinie wurde der Nordwall der Neustadt angesehen. Die „steinernen Pforten“ des Klingenhagens sollten nach Plänen von 1547 sogar abgebrochen und durch hölzerne ersetzt werden. Diese Absichten gab man zwar auf, aber das südliche Außentor wurde beseitigt, die Wangen der Steinbrücke zwischen Neustadt und Klingenhagen durch ein Holzgeländer ersetzt und der Graben verbreitert und vertieft. Dabei wurden auf beiden Seiten des Grabens auch Hausgrundstücke eingezogen, u. a. die Antoniuskapelle. Mit dem Grabenaushub vergrößerte man den Wall auf eine Breite von neun Metern. Für diese Wall wurde in der Neustadt eine Häuserzeile mit einem Teil der Straße aufgegeben und vergraben.

1577 beschwerten sich der Drost Johann von Dinklage und der Rentmeister Arnd von Raesfeld, dass die Bürger die Gräben verlanden ließen, woraus den Fischereirechten und der Wassermühle merklicher Schaden entstehe. Ferner ließen sie ihr Vieh auf den aus Landesmitteln angelegten Wällen weiden, andere Wälle hätten sie zu Gärten umgewandelt.

Kurz vorher muss der Klingenhagen einen Graben erhalten haben, „Öster-“ und „Westerklingenhagener Gräwe“ genannt. Zugleich ließen die Städter den Graben zwischen der Neustadt und dem Klingenhagen verlanden und baten die münstersche Regierung, den Nordwall der Neustadt niederzulegen und hier Bauplätze auf beiden Seiten der „Steinpforten“ ausweisen zu dürfen. 1620 wird berichtet, dass der Klingenhagen „volckreicher und dichter bebawet, das es also beßer wehre von solchen beiden Theilen ein continuum zu machen und es wieder zu conjugieren“.

Über den weiteren geplanten Aufbau der Stadt brach der Dreißigjährige Krieg herein. Zeigen die Pläne von 1633/35 und 1637 noch einen intakten Klingenhagen mit verstärkter Befestigung, so nimmt auf dem Plan von 1638 ein mächtiger Ravelin fast die gesamte Besiedlungsfläche in Anspruch.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg war der Klingenhagen im Norden ganz verschwunden (seit 1630), im Süden sah man die Vorstadt Voerde nicht mehr. Mit der Anlage der Zitadelle ab 1666/67 ging eine Neubefestigung der Stadt Hand in Hand. Christoph Bernard ließ die Stadt in der Verkleinerung, die sie im Krieg erfahren hatte, bestehen. Die Vorstädte Klingenhagen und Voerde erstanden nicht wieder, aber die Fortifikationswerke dieser verkleinerten Stadt wurden bedeutend verstärkt. In der bis 1684 befestigten Stadt kannte man im äußeren Wall vier Tore, eins im Norden auf dem Klingenhagen beim Konvikthaus. Nach Rasierung der Wälle blieben vier Stadtausgänge bestehen.

Nach dem großen Brand 1684 fügte der Festungsbauingenieur Schmitz im Nordosten einen neuen Stadtteil hinzu, der aus der Verlängerung der „Großen Straße auf dem Klingenhagen“ einer Verlängerung der „alten Borchstraße“ durch die neue „Hindter Straße“, der heutigen Straße Am Klingenhagen, einer zur „Poggenburg“ führenden Querstraße, der heutigen Mühlenstraße, und einer Verbindungsstraße zur Großen Straße, der „Kleinen Straße“, bestand.
Hier wurden für die Vechtaer neue Grundstücke ausgewiesen, die bei der Anlegung des freien Schussfeldes für die Zitadelle im Westen der Stadt, der so genannten Esplanade, ihre Grundstücke verloren hatten.
 
Die Vechtaer Nachbarschaften

Im Klingenhagen wurden Stolpersteine verlegt, um auf die Verbrechen der NS-Zeit aufmerksam zu machen. Eine übersichtliche Karte gibt es hier.

 

Literatur:
Gerd Dethlefs: Geschichte der Festung und Zitadelle Vechta. In: Wilhelm Hanisch, Franz Hellbernd, Joachim Kuropka (Red.): Beiträge zur Geschichte der Stadt Vechta. Band III/2. Vechta: Vechtaer Druckerei und Verlag, 1992. S. 265–382, mit Bildtafeln.
Franz Hellbernd, Joachim Kuropka: Geschichte der Stadt Vechta in Bildern, Plänen und Urkunden. Vechta: Vechtaer Druckerei und Verlag, 1993.
Protokollbuch der Nachbarschaft Klingenhagen (1736–1877), ehedem im Besitz des Herrn Eduard Fortmann, jetzt im Bestand der Heimatbibliothek des Heimatbundes für das Oldenburger Münsterland.
Clemens Pagenstert: Die Nachbarschaften in der Gemeinde Vechta. In: Heimatblätter. Beilage zur Oldenburgischen Volkszeitung. 22. Januar 1927.
Franz Kramer: „Nachbar“ und „Nachbarschaften“ in Vechta. In: Heimatkalender für das Oldenburger Münsterland 1954. S. 119 ff.
Heinz Aumann: 300 Jahre Mühlenstraße – Nachbarschaft in Vechta. In: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 1992. S. 45–67