Foto: Kulturstiftung Rolf Dieter Brinkmann.
Familie Neumann

Kulturstiftung Rolf Dieter Brinkmann präsentiert Nachlass

In den Schriftstücken finden sich Erzählungen, bislang unbekannte Gedichtbände und vieles mehr.

Am 1. August 2023 wurde die Kulturstiftung Rolf Dieter Brinkmann ins Leben gerufen. Sie fördert die Verankerung des Autors in der Stadt und Region Vechta. Jetzt kann sie zum ersten Mal den neuesten Fund zu Vechtas bedeutendstem Schriftsteller präsentieren. Prof. Markus Fauser hat wieder allen Grund zu größter Freude über diesen sensationellen Nachlass der beiden Neumanns aus den fünfziger und sechziger Jahren.

Man wusste, dass Brinkmann über viele Jahre hinweg in einem sehr guten Kontakt zu Georg Neumann (Breslau 1908 – Vechta 1990), seinem Deutschlehrer am Gymnasium Antonianum stand. „Er hat ihm noch lange nach dem Weggang aus Vechta seine Bücher geschickt mit sehr persönlichen und überaus freundlichen Widmungen“, sagt Markus Fauser, “aber diese Dokumente waren jahrzehntelang nicht mehr greifbar“. Und man wusste nicht, wo sie waren.

Sein Lehrer hatte auch mehrfach versucht, ihm mit außerordentlich wohlwollenden Gutachten die ersten Gehversuche in die Verlagswelt und das Berufsleben zu erleichtern. Zuletzt 1962 mit einem Antrag nach dem nordrheinwestfälischen Regelwerk der Begabtenförderung, der es Brinkmann erlaubte, auch ohne Schulabschluss ein Studium an der PH Rheinland in Köln aufzunehmen. Das Land suchte dringend Lehrkräfte für die Schulen. Und weil man sich nicht selbst bewerben durfte, sprang Georg Neumann gerne ein.

Nicht bekannt dagegen waren die lange Freundschaft und der intensive Briefwechsel mit dessen Sohn Andreas Neumann (Bunzlau 1938 – Mainz 2022). Er war zwei Jahre älter als Brinkmann. Und ging wie Brinkmann aufs Antonianum, wo er 1959 sein Abitur ablegte. „Er sei ein eher ruhiger und sehr zurückhaltender Schüler gewesen“, wie die Familie Prof. Fauser mitteilte. Dass er schon früh der englischen Sprache und Kultur zugetan war, dürfte Brinkmann beeindruckt haben.

Die Erbengemeinschaft hat nun weitere Einblicke in die Familiengeschichte gegeben. Demnach wohnte die Familie seit 1948 in der Antoniusstraße 41, nachdem sie die Flucht aus Schlesien bis nach Aachen zur Großmutter geführt hatte. In Vechta angekommen unterrichtete Georg Neumann Deutsch, Englisch und Französisch am Antonianum. Sein Sohn Andreas studierte an der Universität in Mainz Englisch und Geographie und unterrichtete in Rheinland-Pfalz und Hessen an verschiedenen Gymnasien, zuletzt als Oberstudienrat wie sein Vater.

Vieles lässt sich nun in dem Briefwechsel nachlesen. In mehreren Dutzend Briefen und Postkarten, einige handkoloriert und mit aquarellierten Umschlägen von Brinkmann, unterhält sich der Autor mit Andreas Neumann von 1957 bis 1962. Viele Texte stammen aus der Zeit, die Brinkmann im Finanzamt Oldenburg und Ende des Jahres 1958 in Neuringe, und dann von 1959 bis 1962 während der Buchhändlerlehre in Essen verbrachte. Hier sind ganz überraschende Aufschlüsse über seine frühe Biographie zu erwarten.

In dem mehrere hundert Seiten umfassenden Konvolut finden sich auch Erzählungen, komplette, bislang völlig unbekannte Gedichtbände in Handschriften, Arbeitshefte, Poesiealben und Entwürfe für nie erschienene Publikationen, Prosaskizzen aus der Schulzeit bis 1958, an denen die Reifungsprozesse Brinkmanns genau nachgewiesen werden können. Natürlich auch seine Lektüren der aktuellen französischen und englischen Lyrik. Aber auch seine erstaunliche Kenntnis moderner Malerei – vor allem Paul Klees!

Ganz besonders selten ist das Exemplar der Zeitschrift „Erwin´s“ mit Stempel und Adresse von Georg Neumann. Das Blatt wurde im Kreis der Kölner Künstlergruppe „Exit“ 1969 in nur 40 Originalstücken hergestellt. Es dürfte eines der letzten erhaltenen Originale sein. Vechta besaß bislang keines davon.

„Zuletzt halten wir – mit einigem Staunen über diese Entdeckung“ – so Professor Markus Fauser, „auch ein blaues Schulheft in Händen, erworben bei Werner Korth, dem Lieblingsbuchhändler Brinkmanns“, mit dem Aufdruck „Staatliches Gymnasium Antonianum Vechta i. O“. Handschriftlich setzt Brinkmann den Titel einer Erzählung darauf: „GOTT -, oder: das Tragische“, in Erinnerung an den 1947 verstorbenen Wolfgang Borchert und an die Theateraufführung seines berühmten Stückes „Draußen vor der Tür“ mit der Rhetorica Vechtensis. Geschrieben, so gibt der Eintrag am Ende des Heftes preis, Anfang 1959 im Café Fortmann in der Großen Straße Nr. 74! So wurde wieder ein neuer literarischer Ort in Vechta entdeckt!