Von links: Juliane von Magyary, Anne Ruppert, Kerstin Dieker, Kristian Kater und Erste Stadträtin Sandra Sollmann. Foto: Stadt Vechta / Kläne
Gütesiegel

Unicef ernennt Overbergschule zur Kinderrechteschule

Die Kinder haben viel darüber erfahren, wie sie ihre Ideen und ihre Meinung einbringen können.

Die Overbergschule in Vechta darf sich jetzt offiziell Kinderrechteschule nennen. Keine geringere Organisation als Unicef hat ihr dieses Gütesiegel verliehen. Am Freitag (24. November) nahm Schulleiterin Kerstin Dieker eine Plakette des internationalen Kinderhilfswerkes auf einer stimmungsvollen Feier entgegen. Die Kinder und das Schulteam hatten sich die Auszeichnung in einer zweijährigen Projektphase verdient. Sie setzten sich nicht nur intensiv mit Kinderrechten auseinander, sondern verankerten sie auf vielfältige Weise und dauerhaft im Schulleben.

Bürgermeister Kristian Kater ist Feuer und Flamme für das Projekt. „Es ist wichtig, dass ihr lernt, welche Rechte ihr habt, und dass ihr eure Rechte einfordert“, sagte er zu den Schülerinnen und Schülern. „Egal, wie wir sind, welcher Religion wir angehören oder woher wir kommen: Alle haben die gleichen Rechte. Und ich finde es toll, dass ihr den Mut habt, dafür einzustehen. Es ist ein starkes Signal an alle Kinder in unserer Stadt, dass wir eine friedvolle Gemeinschaft sind.“

Während der Feier übernahmen die Kinder das Kommando. Edda Middendorf und Greta Höwel führten als Moderatorinnen beeindruckend sicher und unterhaltend durch das Programm. Schülerinnen und Schüler sangen und tanzten zu den Songs „Im Land der Blaukarierten“ und „Ich darf das!“. Und sie stellten mit Hilfe von Videobeiträgen einzelne Punkte der UN-Kinderrechtskonvention vor. Darin betonten die Kinder ihr Recht auf Spiel und Freizeit, auf ein sicheres Zuhause, Essen und Kleidung. Und natürlich auf ihre Meinung.

Die Schülerinnen und Schüler hatten in den vergangenen zwei Jahren viel darüber erfahren, wie sie ihre Ideen und ihre Meinung einbringen und ihr Umfeld aktiv mitgestalten können. Sie lernten, wie wichtig Toleranz und Empathie für ein friedliches Zusammenleben in einer Gemeinschaft sind – und wie sie Konflikte lösen, ehe es zu Gewalt kommt. Sie erhoben ihre Stimme für Kinder, deren Rechte anderswo auf der Welt nicht geachtet werden (siehe auch Programmpunkte unten).

Kater dankte Schulleiterin Kerstin Dieker und ihrem Team für die Umsetzung des Projekts. Im Auftrag von Unicef begleitet Anne Ruppert die Schule dabei. Sie und Unicef-Landeskoordinatorin Juliane von Magyary übergaben am Freitag die Plakette mit der Aufschrift „Kinderrechteschule – Wir leben Kinderrechte“. „Mein Dank geht an die ganze Schulgemeinschaft. Ihr seid großartig“, sagte Juliane von Magyary. „Nur durch Kinder wie euch, die ihre Rechte kennen und die Rechte von anderen achten, kann die Welt weitergehen. Mit Menschen wie euch mache ich mir wenige Sorgen um die Zukunft.“ Unterstützt wurde die Overbergschule auch vom Niedersächsischen Landesamt für Qualitätsentwicklung. Die Vechtaer Grundschule ist eine von deutschlandweit nur 57 Schulen, die an dem Programm bisher teilnehmen.

Kerstin Dieker dankte ausdrücklich ihrem gesamten Team. „Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Schule Kinderrechteschule wird. Wir haben zwei Jahre daran gearbeitet. Es gab Höhen und auch Tiefen. Wir sind immer am Ball geblieben“, erklärte sie. Die Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten während der Umsetzung des Projekts und in den dazugehörigen Fortbildungen viel für den Umgang mit Kindern mitgenommen. Im Vordergrund standen aber die Schülerinnen und Schüler. „Das alles macht Kinder stark“, betonte Kerstin Dieker.

Lehrerin Christa Muhle aus der schulinternen Arbeitsgruppe erklärte anhand eines Beispiels, wie Kinder und Schulpersonal von dem Projekt profitierten: Streiten sich zwei Kinder… „Man geht die Gespräche jetzt anders an und fragt: Was können wir tun, damit wir dich da jetzt rausziehen können? Es ist wichtig, nicht einfach über die Köpfe der Kinder hinweg zu entscheiden, sondern mit ihnen Lösungswege zu erarbeiten“, sagte sie. Oftmals lösten die Kinder ihre Konflikte auch selbst. Das zu lernen war ebenfalls Inhalt des Projekts. 

Alles neu aufbauen musste die Schulgemeinschaft nicht. Soziales Lernen zum Beispiel war schon vor Projektbeginn Unterrichtsinhalt, und Viertklässler sind seit einigen Jahren als Streitschlichter im Einsatz. „Viele Dinge hat es vorher schon gegeben. Wir gehen sie aber fokussierter an“, erklärte Kerstin Dieker. Bestehende Konzepte seien weiterentwickelt und Herangehensweisen angepasst worden. Es sei ein Leitbild entstanden, an dem sich alle orientieren könnten. Die einzelnen Bausteine des Kinderrechte-Projekts sind nicht nur im Schulprogramm festgeschrieben, sie werden gelebt.

 

Die 7 Stufen zur Kinderrechte-Schule an der Overbergschule

Stufe 1. Pädagogischer Tag:  Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter starten im November 2021 unter fachlicher Begleitung durch Unicef in das Projekt. Sie bereiten sich auf die Projektinhalte vor und formulieren Ziele. Für jede weitere Stufe werden die Grundlagen und wissenschaftliche Inhalte in Online-Seminaren vermittelt. Auf jeder Stufe soll mindestens eine konkrete Maßnahme umgesetzt werden.

Stufe 2. Beteiligung: An der Overbergschule versammeln sich Schülerinnen und Schüler im Klassenrat. Alle haben die Möglichkeit, sich einzubringen und ihre Meinung zu sagen. Die Kinder sollen sich gegenseitig zuhören und Probleme aufarbeiten. Sie lernen, Sitzungen durchzuführen und demokratische Entscheidungen zu treffen. Ihnen wird vermittelt, dass sie mitbestimmen können und ihr Engagement etwas bewirkt.

In der Praxis wird es umgesetzt: Die Schülervertretung bestimmt mit, dass zwei Ausleihbuden angeschafft werden, die im Frühjahr 2023 schließlich aufgebaut werden. Aus den Containern können alle 270 Schulkinder seitdem Spielgeräte wie Springseile, Bälle und Sandspielzeug ausleihen. Begleitet und organisiert wird dies von der Schulsozialarbeiterin Irene Jäger und Viertklässlern.

Im Juni 2023 dürfen alle Kinder darüber abstimmen, welches große Spielgerät für den Pausenhof angeschafft werden soll. An einer Stellwand geben sie ihre Stimme ab, in dem sie einen Klebepunkt auf das Bild mit dem gewünschten Gerät setzen. Dieses soll im Jahr 2024 kommen.

Stufe 3. Vielfalt und Nichtdiskriminierung: Soziales Lernen ist seit Jahren Unterrichtsinhalt. Den Kindern wird ein toleranter und empathischer Umgang miteinander vermittelt. Im Projekt wird dies ausgebaut und verfestigt.

Der Vorlesetag der Bürgerstiftung wird ebenfalls für diesen Themenbereich genutzt. Die Gäste lesen aus einem Buch, das den toleranten Umgang mit Vielfalt und Anderssein thematisiert.

Beim Sommerfest wird eine Weltkarte ausgehängt, auf der die Eltern und Familien der Kinder darstellen, woher sie stammen. Es wird vermittelt, wie wichtig die eigene Identität für alle Menschen ist. Alle sollen sich willkommen fühlen.

Einmal in der Woche lesen Kinder in einer Betreuungsstunde in einem Buch aus der Bücherkiste. Thema: Vielfalt und Toleranz.

Stufe 4. Prozessbegleitung: Zur Halbzeit des Projekts lassen sich wieder die Pädagoginnen und Pädagogen schulen. Sie erarbeiten, wo sie mit der fachlichen Umsetzung des Projekts stehen und welche Schritte als Nächstes anstehen.

Stufe 5. Gewaltprävention: Seit einigen Jahren lernen Schülerinnen und Schüler an der Overbergschule, Streitigkeiten unter Kindern schlichten zu können. In Klasse drei werden sie ausgebildet, einmal pro Woche haben sie eine Stunde mehr auf dem Stundenplan. In Klasse vier werden sie zu aktiven Streitschlichterinnen und Streitschlichtern. Sie tragen in den Pausen Westen und können bei Konflikten hinzugezogen werden. Im Streitfall können sie sich mit den betroffenen Kindern in einen Raum zurückziehen und den Konflikt lösen. Die Streitparteien unterschreiben am Ende einen Vertrag, wie das Problem gelöst werden soll. In einem Nachgespräch wird festgestellt, ob das geklappt hat. Natürlich werden die Kinder nicht allein gelassen und können Erwachsene hinzuziehen, wenn sie Hilfe benötigen. „Wahnsinn, was die Kinder in diesem Jahr lernen“, sagt Christa Muhle, eine der zuständigen Lehrerinnen.

Eine andere Strategie, Konflikte zu lösen, sind die Friedensfüße. Diese hängen in einer geschützten Ecke an einer Fensterscheibe aus. Wer sich streitet, kann dort selbstständig hingehen. Die Füße zeigen die einzelnen Schritte der Konfliktlösung auf und bewegen sich aufeinander zu. Auch dadurch werden Konflikte beigelegt.

Stufe 6. Kinderrechte global: Am internationalen „Red-Hand-Day“ (12. Februar) beteiligen sich alle Schülerinnen und Schüler am Aufruf gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Sie malen ein großes Plakat und hinterlassen ihren – roten – Handabdruck, um für die Rechte von Kindern weltweit einzutreten und die Politik zum Handeln aufzufordern. Sie wenden sich unter anderem an Bürgermeister Kristian Kater, der das Plakat unterzeichnet.

Außerdem malen Kinder in Eigeninitiative Plakate, die sie in Firmen und Geschäften in Vechta aufhängen. Sie trauen sich, sich zu äußern und für andere zu engagieren – auch durch verschiedene Spendenaktionen. Diese können jederzeit initiiert werden, auch ein Ziel des Projekts.

Stufe 7. Zertifizierung und Abschluss Prozessbegleitung: Die Schule erhält die Zertifizierung zur Kinderechte-Schule. Die Lehrkräfte treffen sich dazu abschließend mit der Unicef-Trainerin. Danach bleiben die Inhalte des Projekts dauerhaft auf dem Programm. Im Unterricht beschäftigen sich alle Klassen weiterhin mit den mehr als 40 Punkten der „Konvention über die Rechte des Kindes“. Auf einem Schwarz-Weiß-Plakat, das öffentlich im Schulgebäude aushängt, kann jede Klasse mit einem farbigen Bild kennzeichnen, wenn sie sich mit einem Thema beschäftigt haben. Je bunter das Plakat wird, desto größer wird das Wissen über Kinderrechte.

Vor dem Projekt gab es an der Overbergschule eine Umfrage zum Thema Kinderrechte. Dieselben Fragen werden den Kindern nach dem Projekt noch einmal gestellt. Die Ergebnisse werden miteinander verglichen, um festzustellen, was sich positiv entwickelt hat und wo die Schulgemeinschaft noch Nachholbedarf in Sachen Kinderrechte hat. Nach drei Jahren ist laut Unicef eine Re-Zertifizierung geplant.

 

Das Kinderrechteschulen-Programm

Das Kinderrechteschulen-Programm von Unicef Deutschland ist noch im Aufbau. Bisher nehmen erst drei Bundesländer daran teil. Neben Niedersachsen sind dies Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Rund 13.000 Kinder und 1700 Lehrkräfte aus 57 Schulen machen mit.

Unicef tritt mit dem Programm dafür ein, die UN-Kinderrechtskonvention bundesweit in das deutsche Bildungssystem zu integrieren. Unter dem Motto „Wir leben Kinderrechte“ unterstützt Unicef Schulen dabei, das Wissen über Kinderrechte und ihre Verwirklichung zu einem Teil des Unterrichts- und Schulentwicklungsprozesses werden zu lassen.

In einer Kinderrechteschule werden die Kinderrechte in der Schulgemeinschaft gelernt, respektiert, geschützt und gelebt - von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen. So werden zum Beispiel Beteiligungsformate mit und für Kinder wie Schülerparlament, Kinderrat und Zukunftswerkstatt entwickelt, Ideen für ein Anti-Diskriminierungskonzept ausgearbeitet und Beschwerdeformate für Streit, Gewalt und Mobbing eingeführt.

Kinder erleben ihre Kinderrechteschule als einen Lernort, in dem ihre Meinungen ernst genommen und ihre Talente gefördert werden. Sie lernen respektvoll miteinander umzugehen und Verantwortung zu übernehmen – für sich und andere.

Weitere Infos unter https://www.unicef.de/informieren/schulen/kinderrechteschulen